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Einladung zur Lektüre der fünften Ausgabe

Im Fokus der fünften Ausgabe von lettere aperte steht eine einzige Figur und ihr Werk: Gideon Bachmann (1927–2016). Gideon Bachmann, chi era costui?

I’m not a speaker or a lecturer, I’m an editor: I have a magazine and I’m doing a radio show. I come across with a lot of people with a lot of ideas and I’m interested in film as a creative medium.[1]

 

So beschreibt Bachmann selbst im Jahr 1958, in dieser frühen Phase seiner Karriere, seine Tätigkeit. Schon zu diesem Zeitpunkt galt seine besondere Aufmerksamkeit der Kunst des Films, zu der er Filmemacher und Schauspieler interviewte – darunter berühmte Protagonisten des Metiers wie Fritz Lang und Roman Polański, Alain Resnais oder Jean-Luc Godard. Die daraus entstandenen Gespräche veröffentlichte er meist in Zeitungen, aber auch in Form von Radiosendungen und Filmporträts. Mit der Bezeichnung als “editor“, der Filmschaffenden begegnet und sie zu ihrem Medium Film befragt, präsentiert sich Bachmann seiner Hörerschaft als unprätentiöser Vermittler. Entsprechend stellt er, der an vielen verschiedenen Orten auf der Welt (Deutschland, Israel, Amerika, Italien) lebte und arbeitete, dem Kinopublikum seit den 1950er Jahren eine in dieser Weise unübliche Informationsquelle über den Film, die Filmwelt und ihre Akteure zur Verfügung.[2]

Seine in erster Linie vermittelnde Funktion war auch der Schlüssel, mit dem sich Bachmann Eintritt zur blühenden Filmszene der europäischen Nachkriegszeit verschafft hatte. Die regelmäßigen Berichte, die er für mitunter renommierte Tages- und Wochenzeitungen wie der Neuen Zürcher Zeitung, Die Zeit, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder dem Berliner Tagesspiegel verfasst hatte, legen nahe, sein Tun mit dem Begriff des ’Filmjournalismus’ zu definieren. Gleichzeitig ist eine solche Definition jedoch gänzlich unbefriedigend – auch Bachmann hätte sich darin wahrscheinlich nicht gefallen, wie er selbst in einem ’Interview’ mit Fellini festhält[3], in dem er sich sowohl vom Begriff des ’Interviews’ als auch vom Metier der Journalisten distanziert.[4] In der Tat ist die im herkömmlichen Sinn Fakten vermittelnde, ’objektive’ Komponente bei Bachmann im Verhältnis zu einer ’suggestiv-subjektiven’ Komponente doch eher gering. Auch nimmt Bachmann in seinen Interviews oder wie er sie bevorzugt nennt: ’Dialogen’[5], nicht – wie vielleicht zu erwarten – die sekundäre Position eines Abnehmers bereits verfügbarer Informationen ein. Vielmehr tritt er zu seinen Gesprächspartnern mitunter auch explizit in ein dynamisches, wenn nicht gar agonales Verhältnis der Verhandlung und Suche von Erkenntnissen. So kann es dazu kommen, dass die Gesprächshierarchien regelrecht umgedreht werden, der Fragende selbst zum Mittelpunkt wird, der Befragte hingegen zum Mittel, das Bachmann zur Läuterung seiner eigenen Gedanken und Obsessionen nutzt. “We are not really doing an interview“, erklärt er dem damals bereits weltberühmten Federico Fellini zum Auftakt eines Gesprächs für die Zeitschrift Film Quarterly (1980), “I am just blatantly using you to clarify some ideas“.[6] Mit einer ’Dienstleistung’, die den Befragten zu Wort, die Leser auf ihre Kosten kommen lässt, hat das tatsächlich nichts mehr zu tun.

Beispielhaft für die Eigenwilligkeit der Vorgehensweise Bachmanns sind, nicht zuletzt, auch seine ’Dokumentarfilme’ über Jonas Mekas oder Federico Fellini, die tatsächlich nur sehr bedingt als informativ-dokumentarisch gelten können (zur Originalität von Bachmanns Fellini-Porträt, cf. zum Beispiel den Nachruf von Andrea Crozzoli). Kaum überrascht daher, dass er analog zu seinen journalistischen, auch seine dokumentarischen Unternehmungen begrifflich nicht festmachen, beziehungsweise vom herkömmlichen Verständnis des Terminus´ ’Dokumentarfilm’ abgrenzen wollte (so zum Beispiel im Vorwort zu seinem noch unveröffentlichten Pasolini-Tagebuch, in dem er zu dem geplanten und nie realisierten Film über Pasolini Cerco [dt. Ich suche] sagt, “der Film wurde nicht als Dokumentarfilm geplant, sondern als Analyse der schwierigen Situation eines geplagten Menschen [...]“[7]). Um das Verhältnis von Bachmanns Arbeit zu konventionellen journalistischen und dokumentarischen Arbeiten zu messen, genügt es, die besonderen Voraussetzungen seiner Tätigkeit zu vergegenwärtigen, angefangen bei der eher unüblichen Vorgehensweise (cf. die Artikel von Holger Jost und Fabien Vitali), den ebenso unüblichen Informationen, die er aufgrund einer Art Vertrauensbeziehung, die er zu den Größen der Filmbranche aufbaute, sammelt, bis hin zu jener außergewöhnlichen Verarbeitung derselben, aus der mitunter Bachmanns eigene künstlerischen Ansprüche sprechen, die in seine Vermittlerfunktion hineinwirken und sich mit diesen vermischen.

 

 Abb. 1 Der junge Bachmann mit Kamera.

 

Eine zentrale Frage, der Bachmann in seinen Gesprächen stets nachgeht, ist diejenige nach dem Verhältnis von menschlicher, gesellschaftlicher Wirklichkeit und ihrer Darstellung im Film. Antworten sucht er eben in der Begegnung mit den Filmschaffenden, von denen er seinen Zuhörern und sich das Verständnis der Persönlichkeit und ihrer künstlerischen Motive verspricht. Großes professionelles und persönliches Interesse fand Bachmann am italienischen Film, besonders eben an Federico Fellini und Pier Paolo Pasolini, die er über Jahre hinweg begleitete und deren Arbeiten er mit Interviews, Fotografien und Filmen dokumentierte.[8] Nicht zuletzt diese Arbeiten, die in enger, wenngleich nicht immer harmonischer Zusammenarbeit mit diesen zentralen Figuren des italienischen Films entstanden sind, machen Gideon Bachmanns Werk zu einer außergewöhnlichen Quelle für die Untersuchung des italienischen Novecento. Und vor allem in dieser Perspektive soll er in dieser Ausgabe von lettere aperte auch genauer vorgestellt werden.

 

Nach seinem Tod im November 2016 hinterließ Gideon Bachmann umfangreiches Material aus Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, Fotos, Filmen und Tonbandaufnahmen, die bemerkenswerte Einblicke in die Filmszene der 1950er bis 70er Jahre und die Beweggründe, Denk- und Arbeitsweisen der Regisseure und Schauspieler bereithalten und damit eindrückliche Momente westlicher Filmgeschichte wiedergeben. Derzeit bemühen sich vor allem zwei Institutionen um diese Dokumente, an denen Bachmann tätig war und denen er einen großen Teil des (bekannten) Materials überschrieb: Das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe und das Filmarchiv des Kulturvereins Cinemazero in Pordenone arbeiten an dessen Katalogisierung und Digitalisierung, um Bachmanns Hinterlassenschaft für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.[9]

An diese Initiativen knüpft die fünfte Ausgabe von lettere aperte mit dem Anliegen an, Gideon Bachmanns Lebenswerk kritisch zu untersuchen und den Boden für dessen weitere wissenschaftliche Befragung zu bereiten. Sie stellt einen Versuch dar, der das offene Format der Zeitschrift und die sie bedingende kritische Offenheit ihrer Leser in Anspruch nehmen will. Der Versuch besteht zum ersten darin, die Ausgabe einer Person und ihrer Arbeit zu widmen, ohne diese sogleich als Ausgangspunkt eines gesetzten wissenschaftlich-systematischen (philologischen, medien- oder kulturwissenschaftlichen, epistemologischen) Interesses markiert zu haben. Einem zu großen Teilen noch unerschlossenen Material sollten auf diese Weise keine vorverstandenen Perspektiven auferlegt, den Beiträgern hingegen der Raum gegeben werden, ihren Zugriff aus den gegebenen, diversen Text-, Audio-, Foto- und Filmdokumenten zu wählen und Vorschläge möglicher Betrachtungsmodi im Umgang mit Bachmanns Werk zu entwickeln.

Mit dieser methodischen Offenheit geht zum zweiten das inhaltliche Wagnis einher, mit Gideon Bachmann eine Einzelperson in den Fokus der Untersuchung zu stellen, die ihre wissenschaftliche Aufmerksamkeit nicht bereits durch einen kanonisierten Status a priori rechtfertigt. Ein solches Autoritätsargument nimmt diese Ausgabe nur mittelbar in Anspruch, insofern die Persönlichkeiten, über die Bachmann handelt, für die kritische Aufmerksamkeit an dessen Arbeit mit ihnen zu bürgen versprechen. Ob und inwiefern Bachmanns Wissensvermittlung über Federico Fellini, Pier Paolo Pasolini, Michelangelo Antonioni, Bernardo Bertolucci und andere seiner Gesprächspartner ebenfalls den Status einer autonomen künstlerischen Tätigkeit im Sinne einer eigenen, schöpferischen Aktivität für sich beanspruchen kann, stand insofern ebenso im Interesse der vorliegenden Nummer wie eine erste analytische Sichtung und exemplarische Präsentation des Materials, das der ’Journalist’ und Filmkritiker hinterlässt.

Die hier versammelten Beiträge werfen in diesem Sinne jeweils unterschiedliche Schlaglichter auf Gideon Bachmann. Die Autoren verbindet dabei die Bekanntschaft, beziehungsweise der persönliche Umgang mit dem Filmkritiker, nicht selten vor dem Hintergrund der intensiven Arbeit an gemeinsamen Projekten. Daraus ergibt sich eine insgesamt prägende biografische Perspektive. Diese wird von den Autoren nun auch spezifisch in Andenken an den im November 2016 erfolgten Tod Bachmanns beansprucht, was den Beiträgen nicht selten die Form persönlicher Erinnerungen wenn nicht gar Nachrufen verleiht. Der Nähe zum ’Menschen’ Gideon Bachmann seitens der hier versammelten Autoren ist es geschuldet, wenn ihre Artikel mitunter vom Standard der Wissenschaftlichkeit zugunsten einer insgesamt eher essayistischen Prägung abweichen.

Inhaltlich entsprechen die Beiträge drei übergeordneten Interessenkreisen: Biografie, Werk, persönliche Erfahrungen. Im ersten Teil hat Paolo Sassi das Wort, der Bachmann mit der Absicht begleitete, dessen Leben zu dokumentieren, und der hier ebenfalls mit der Aufgabe betraut wird, den Leser mit den Hintergründen zu Bachmanns Person bekannt zu machen. In zwei aufeinanderfolgenden Artikeln wählt der Autor, dessen Bachmann-Biografie aktuell in Bearbeitung ist[10], für die Erzählung je einen speziellen Lektüreschlüssel, welcher der Geschichte des Lebens und Denkens Gideon Bachmanns ein suggestives Relief verleiht und dem Leser so interpretatorische Fluchtpunkte für dessen in den folgenden Beiträgen skizzierte Tätigkeiten, für seine Sammlung und Vermittlung des Wissens über Film und Filmpersönlichkeiten nahelegt.

Im ersten Beitrag erzählt Paolo Sassi Bachmanns Lebensstationen aus einer fiktional autobiografischen Ich-Perspektive als einen chronotopischen Ablauf, der von Bachmann immer wieder aufs Neue Entsagung oder das Ergreifen von Möglichkeiten und Entscheidungen für bestimmte geografische Abzweigungen fordert, mit denen je neue identifikatorische Umstände und Herausforderungen einhergehen. Zielpunkt in Sassis Erzählung ist Rom, das als stimulierendes Epizentrum für Bachmanns Suche nach dem Leben und seinen Wahrheiten erscheint, auch wenn der Protagonist der Stadt schließlich doch desillusioniert den Rücken kehrt (die Verletzung, die der Bruch mit Rom hinterlässt, scheint auch Jahrzehnte später nicht geheilt, wie die letzten Sequenzen der persönlichen Gespräche zwischen Sassi und Bachmann in dem hier veröffentlichten kurzen Video-Porträt zeigen). Die von Sassi originell gewählte Form biografischer Erzählung, eine Art ’autodiegetischer Fiktion’, ist nun eher unüblich im Kontext idealiter wissenschaftlicher Studien. Sein in diesem Sinn unkonventioneller Versuch soll allerdings die programmatische ’Offenheit’ von lettere aperte gegenüber anderen – in diesem Fall ’literarischen’ – Formen der Erkenntnis markieren; außerdem sollen den Beiträgen des (von Gideon akzeptierten) Biografen, genauso wie jenen von Riccardo Costantini und Andrea Crozzoli ein besonderer Status zufallen, insofern sie sich der Person Gideons im Stil bewusst subjektiver Aufzeichnungen oder divagations widmen.

 

Abb. 2. Gideon Bachmann

 

In seinem zweiten Beitrag greift Paolo Sassi dagegen auf eine traditionell essayistische Form zurück, wählt allerdings einen wiederum originellen Ausgangs- und Bezugspunkt. So rekapituliert er Bachmanns Geschichte, indem er sie vor der Vergleichsfolie des jüdisch-römischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus liest. Der Autor lotet hier – wohlbemerkt sehr vorsichtig – das identifikatorische Potenzial aus, das diese Figur in ihrer Funktion als “Vermittler zwischen den Kulturräumen“, deren Sprachen und Sitten sie beherrschte, für Bachmann innegehabt haben könnte – denn auch er suchte sich stets in internationaler Bewegung und vermittelnder Tätigkeit zu finden. Die besondere Position Josephus´, Jude und Römer, und damit im Besitz einer gegenüber der Gesellschaft dynamisch zwischen Innen und Außen wechselnden Perspektive, ist der nicht ausgesprochene gemeinsame Nenner, der Sassis Parallele im Hintergrund motiviert und reizvoll macht.

 

Den zweiten Teil der Ausgabe bilden sechs Beiträge, die ihr eigentliches Herzstück ausmachen, insofern diese sich mit den Formen und Modi Bachmanns lebendiger Dokumentation von Filmkultur auch jenseits biografischer Probleme auseinandersetzen. Die Artikel von Holger Jost und dem Autoren-Duo Víctor Fancelli Capdevila und Christian Haardt stammen aus dem Umfeld des ZKM Karlsruhe, das heute einen großen Teil der Tonbandaufnahmen Bachmanns beherbergt. Die Autoren widmen sich dementsprechend der besonderen Form der ’oral history’, die dieser auf seinen Tonbändern über das Kino der 1950er und 60er Jahre festhält.

So führt Holger Jost, Mitarbeiter am ZKM Karlsruhe, der schon 2016 die dortige Ausstellung Gideon Bachmann: Film Art on Air zur Erinnerung an Bachmann und seine Arbeit kuratierte, die damals exponierten Reflexionen zum großen Gewinn dieser lettere aperte-Ausgabe in seinem Artikel weiter. Darin zeichnet er Bachmanns Werdegang als Filmjournalist nach, indem er die verschiedenen Publikationsformate und Methoden der Informationsgewinnung vorstellt, derer dieser sich bediente, und so seinen medialen Möglichkeitsrahmen absteckt. Er verortet Bachmann dabei in einem informativen Panorama vor der historischen Kulisse der amerikanischen Radio- und Filmclubszene der 50er und 60er Jahre. Jost gibt darüber hinaus einen konzisen Überblick über die Themen, die Bachmann behandelte, und über die Strategien der Interviewführung, mit denen er seinen Hörern ein persönliches Bild seiner Gesprächspartner zu vermitteln und damit einen Einblick in die Motive ihrer Arbeit zu geben suchte – ein Problemkreis, der nicht zuletzt auch im Beitrag von Fabien Vitali wiederaufgenommen und vertieft wird.

Christian Haardt und Víctor Fancelli Capdevila, Studierende der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, die sich in enger Zusammenarbeit mit dem ZKM der nicht nur in Umfang und technischem Aufwand bemerkenswerten Herausforderung einer Sichtung und Digitalisierung des Bachmann-Archivs angenommen haben, fokussieren in ihrem Artikel Gideon Bachmanns Tätigkeit als “Stimmen- und Meinungssammler“. Als versierte Kenner seiner Tonbandaufnahmen verfolgen sie anhand ausgewählter Interviewausschnitte die Veränderungen seiner Methoden und Konzepte in der Gesprächsführung nach und beobachten dabei eine Entwicklung von anfänglichen Sachinterviews hin zu der späteren Anlage seiner Interviews als unkommentierte und somit für jeden ihrer Hörer eigens zu deutende “Stimmenerlebnisse“, die Bachmann unter dem Titel Vox humana der Öffentlichkeit als Klangmuseum zugänglich machen wollte.

Auch Kristin Engelhardt widmet sich der filmjournalistischen Seite in Bachmanns Arbeit. Anders als Jost, Fancelli Capdevila und Haardt setzt sie dabei allerdings ihren Schwerpunkt auf die Print-Medien, insbesondere aus dem deutschsprachigen Raum, zu denen Bachmann – wie auch anhand von Zitaten aus seiner unveröffentlichten Briefkorrespondenz gezeigt wird – in einer ambivalenten Beziehung stand. Eine Auswahl an Artikeln aus den Archiven der Neuen Zürcher Zeitung und dem Berliner Tagesspiegel dient hier zur Analyse von Bachmanns Film-Diskurs. Dabei gelingt es der Autorin einige Konstanten zu isolieren, so zum Beispiel Bachmanns typisch “doppelter Blick“, der dynamisch zwischen der filmtechnischen Analyse und der anekdotenhaften causerie pendelt; aber auch zwischen der “poetischen“ und der “politischen“ Wertschätzung. Als besonders aufschlussreich erweisen sich die finalen Passagen, in welchen Bachmanns Funktion als Brückenbauer zwischen der deutschsprachigen Öffentlichkeit und dem italienischen Filmgeschehen in den goldenen Siebzigern beleuchtet wird. Hier zeigt Engelhardt anhand einiger Textstellen wie Bachmann, in der Auseinandersetzung mit dem “engagierten Realismus“, vor allem von Rosi und Bertolucci, die obsessiv gestellte Frage nach der politischen Relevanz von Kunst vereint mit höchster Sensibilität auch für die künstlerische Bedeutung des italienischen Films aus jener Zeit.

Riccardo Costantini, Leiter des Archivs für Filmgeschichte in Pordenone und Bachmanns langjähriger Wegbegleiter, nimmt in seinem Beitrag seine persönliche Erfahrung im Umgang mit letzterem zum Ausgangspunkt, um seinerseits die Umgangsformen und Modi zu beschreiben, mit denen dieser seinen Gesprächspartnern begegnete. Bachmanns Wesen, das Costantini als begeistert mit einem Hang zur Obsession, scharfsinnig und pragmatisch, zugleich von einer poetischen Neigung geprägt bezeichnet, erscheint dabei als mit seiner Arbeitsweise untrennbar verbunden. Mit Federico Fellini fokussiert der Autor schließlich eine Figur, für die Bachmann eine besondere Faszination aufbringt, die ihn jedoch im selben Maße frustriert, da Fellini sich Bachmanns zwanghaftem Interesse an seiner Person widersetzt und damit zugleich vereitelt, dass Bachmann ihn für die Vermittlung der eigenen Film- und Lebensphilosophie vereinnahmt.

Fällt im Beitrag Costantinis der Fokus vor allem auf Fellini, so rückt Roberto Chiesi, Leiter des Archivio Pasolini des nationalen Filmarchivs Cineteca in Bologna, die Beziehung Bachmanns zu einer anderen Größe des Italienischen Novecento ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit: Pier Paolo Pasolini. Dabei unterstreicht Chiesi insbesondere den ’funktionalen’ Aspekt dieser Beziehung. Lässt sich Pasolini seit den 60er Jahren bis zu seinem Tod immer wieder von Bachmann befragen, so dass der Eindruck eines geradezu privilegierten Verhältnisses entsteht, so hat dies jenseits einer von letzterem gesuchten und auch zur Schau gestellten Freundschaft, auch mit einem gewissen Kalkül seitens Pasolini zu tun, erkennt er doch in Bachmann einen, dank seiner Vernetzungen, wirksamen ’Verbreiter’ der eigenen Fama. Dass dieses Kalkül mitunter ein Grund für die Kontinuität der Beziehung zwischen Pasolini und Bachmann war, legt nicht zuletzt der von Chiesi angedeutete Umstand nahe, wonach Bachmann trotz des langjährigen und in den Ergebnissen durchaus fruchtbaren Kontakts (wie ein jüngst veröffentlichter Band mit Konversationen zeigt)[11] dem Dichter und Regisseur nicht immer auf der von ihm begehrten Augenhöhe begegnen und der Komplexität dessen Werks nur bedingt gerecht werden konnte.

Auch im Beitrag von Fabien Vitali werden die Gespräche Bachmanns mit Pasolini in den Fokus gerückt. Sie bilden genauer gesagt den Ausgangspunkt für eine analytische Auseinandersetzung mit der Form “Interview“, zunächst im Kontext von Pasolinis Poetik der 60er Jahre, den sogenannten “opere da farsi“. In einem zweiten Moment fragt er nach den menschlichen oder “pragmatischen“ Faktoren, die Pasolinis Bereitschaft, Bachmann über fast 15 Jahre als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen, mit erklären könnten. Im zentralen Teil seines Beitrags, der sich von den anderen aufgrund seines stärker analytischen Interesses unterscheidet, werden die Strukturmerkmale von Bachmanns Interviewstil genauer ins Visier genommen. Die beinahe nach Spitzer´scher Methode geführte Untersuchung der Gespräche mit Pasolini führt letztlich zur Frage nach den tieferen Beweggründen seiner formalen Auffälligkeiten. Der Austausch mit den “Großen“ aus dem Filmwesen erweist sich hierbei als spezifisches Korrelat einer für Bachmann typischen “Unruhe im Verstehen“, und zwar als einer nicht nur persönlichen Form der Reaktion auf die Situation des Menschen und ihre Aporien.

 

Der dritte Teil der Ausgabe versammelt vorwiegend persönliche Nachrufe auf den verstorbenen Gideon Bachmann. In diesen a priori subjektiven Erinnerungen ist indes durchaus Raum für die eine oder andere Beobachtung, die ein Licht auf einzelne Aspekte aus Bachmanns Schaffen werfen. So erinnert mitunter Andrea Crozzoli, der Bachmann aus der intensiven Zusammenarbeit in Pordenone kannte, an die radikale Originalität von dessen Fellini-Porträts, ein metacineastisches Kleinod, ein “regelrechter Film über den Film“, in dem der Maestro nicht nur in vorteilhaften Licht, sondern, dank Bachmanns ironischem Blick, auch mit seinen Schwächen gezeigt wird.

In ihrer Erinnerung an die erste Begegnung mit Bachmann, zeichnet Marie Falke, ehemals Studierende an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und Autorin eines noch zu veröffentlichenden Filmporträts über Gideon Bachmann[12], mit einigen wenigen Beobachtungen das Bild eines auch im hohen Alter noch gewitzten – “verschmitzten“ –, mitteilungsfreudigen Menschen, der gerade in der Erzählung seiner pikaresken Erfahrungen zu einem Leben jenseits der Realität des Alters (Müdigkeit, Bitterkeit) erwachen kann. Kommt in diesem vorsichtig in Ich-Perspektive verfassten Bericht auch Bachmann selbst zu Wort, wobei mindestens einer seiner von Falke sinnvollerweise notierten Aussagen ein programmatischer Stellenwert beizumessen ist: “Ich habe auch immer alles verstehen wollen“ – ein Satz, der auch Bachmanns besonderen Stil als ’Porträtist’ und ’Vermittler’, seine ständige Unruhe im Umgang mit seinen Gegenständen suggestiv resümiert.

Wie jede Ausgabe soll auch die hier vorliegende ergänzt werden von einem “offenen Brief“, in dem Raum für einen, je nach dem, stärker subjektiven, idiosynkratischen Bezug zum Themengegenstand gegeben sein soll. Der Einladung zu einer entsprechenden Stellungnahme ist dieses Mal Karl-Heinz Dellwo gefolgt, bekannter politischer Aktivist, Verleger und nicht zuletzt selbst Dokumentarfilmer. Sein “offener Brief“ steht unter dem Eindruck der letzten zwei Jahre von Bachmanns Leben, in denen sie eine zum Teil intensive Zusammenarbeit verband, rund um ein Projekt, in dessen Zentrum Pasolinis letzter Film, Salò oder die 120 Tage von Sodom stand. Dellwo erinnert in seinem einfühlsam beobachtenden und dabei ehrlichen Porträt des ’letzten’ Gideon an dessen Widerspenstigkeit, an seine desillusionierte und misanthropische Haltung, die in Wirklichkeit, so Dellwo, eine gegenteilige Überzeugung transportierte, nämlich den Glauben an den “Wert des menschlichen Lebens“. Wie Dellwo überzeugend festhält, beliebte es Bachmann nicht, auf eine Vermittlerfunktion reduziert zu werden. Er wollte, dass man ihn als “Begleiter“ von Künstlern und Intellektuellen “auf gleichem Niveau“ sieht – ein Umstand, der wohl nicht in der Form eingetroffen ist, wie Bachmann es sich erhofft hatte und der ihn bedingt auch zu einer “tragischen“ Figur machte, die “am Ende seines Lebens in der politisch-kulturell entleerten Beamtenstadt Karlsruhe gestrandet war“. Dellwos Schilderung der mitunter sehr schwierigen Zusammenarbeit mit Bachmann im Hinblick auf eine geplante Veranstaltung, in deren Zentrum die Erzählung von Salò auf der Basis der Standfotografien seiner ehemaligen Lebensgefährtin, Deborah Beer, stand, entwickelt sich zur Parabel über die Vergänglichkeit menschlicher Ambitionen und enthält ein – über Bachmann hinaus wirksames – Bekenntnis zur Widersprüchlichkeit der Natur des Menschen.

Ebenfalls strikt persönlicher Natur ist der Zusammenschnitt privaten Videomaterials von Paolo Sassi. Das von Sassi zur Verfügung gestellte und redaktionell nachbearbeitete Material zeigt Bachmann an verschiedenen Orten seines Lebens, von Karlsruhe, über Haifa bis zu seinem Geburtsort Heilbronn und registriert, mit bestechender Unmittelbarkeit – die die unverhohlen dilettantische Qualität der Aufnahmen zur Tugend macht – Bachmanns Erinnerungen an seine Kindheit in deutsch-jüdischem Haushalt, an die Zeit in Israel, an sein Leben in Rom... Ohne diesen Anspruch auf künstlerischer Ebene geltend zu machen, sind Sassis Aufnahmen eine Art Imitation der Methode Bachmanns im Umgang mit der Kamera, nämlich als einem Mittel zur Durchforschung und Vermittlung von Persönlichkeiten, auch und gerade jenseits von deren Aussagen. So sind es oft die vereinzelten Einstellungen von Bachmanns Mimik, seines vom Leben gezeichneten Gesichts mit den mal traurigen, mal (wie Marie Falke schrieb) “verschmitzten“ Augen, in denen hier ein ausdrucksstarkes, gleichsam deutungsoffenes Bild von Gideon Bachmann gelingt.

Dieses sehr persönliche Filmporträt wird kontrapunktiert von einem zweiten Video, das Bachmann hingegen in einer öffentlichen Rolle, als Gast bei einer Veranstaltung zu Pasolinis Salò o le 120 giornate di Sodoma im Hamburger Schauspielhaus im Oktober 2015 zeigt. Im Dialog mit Felix Ensslin erzählt Bachmann in seinem digressiven, anekdotenhaften Stil von seiner Beziehung zu Pasolini, von seinen Erfahrungen auf dessen Filmsets, sowie vom nie verwirklichten Projekt einer Dokumentation über Pasolini. Die Mitschnitte zeigen mitunter einen Bachmann, der sein fortgeschrittenes Alter ins Privileg wendet, den Zuhörern im Theatersaal das ewige Unglück menschlichen Daseins zu prognostizieren. Aber gerade in Bachmanns feierlichen Verkündigungen der Hoffnungslosigkeit, klingt eine immense Sehnsucht nach, die die Idee vom Leben als dem wertvollsten Gut, und von der Suche nach Erfüllung im Leben, von der Bachmanns Schaffen ein einzigartiges Zeugnis ist, strikt voraussetzt und geradezu fordert. Der Mitschnitt unterstreicht somit das Porträt Bachmanns, als einer einzigartig widersprüchlichen und im Widerspruch schöpferischen Figur, wie sie aus den unterschiedlichen Beiträgen hervorgeht.

Obwohl alle Beiträge Bachmann und sein Werk in seinen Facetten vorstellen und ihm einen eigenen Stil attestieren, enthalten sie sich jedoch in Bezug auf die eingangs gestellte Frage nach dem künstlerischen Wert seiner Arbeit jenseits seiner Person zu großen Teilen einer Antwort. Tatsächlich scheint der zumeist biografische Zugang, welcher Bachmann wie selbstverständlich eine zentrale Bedeutung in seiner Arbeit einräumt, die Frage vielmehr implizit zu verneinen. Bachmanns Vermittlungstätigkeit scheint untrennbar mit ihm selbst verbunden. Inhaltlich ist sie stark geprägt von seinen Interessen, Überzeugungen und Lebenserfahrungen, und in der Vorgehensweise beeinflusst durch die ihn auszeichnenden Charakteristika wie den wachen taxierenden Blick (Dellwo) und seine direkte Art, seine Gesprächspartner zu adressieren “in un punto di vista immediatamente privilegiato e originale” (Costantini). Gideon Bachmann fasziniert zweifelsohne als Person, etwa wenn er sich spitzfindig aus den unterschiedlichen, oft sozioökonomisch ungünstigen Konditionen heraus neue Wege und Möglichkeiten erschließt und dies mit einer im weitesten Sinne journalistischen Tätigkeit verbindet, in der er seine Umwelt und Mitmenschen fotografisch oder filmisch festhält und zu verstehen versucht, um anderen davon zu berichten. Als rote Fäden durchziehen die Beiträge die Hervorhebung des Vitalen und Lebensbejahenden, Bachmanns Suche nach Identität und Zugehörigkeit, nach dem Verstehen des anderen, verbunden mit der obsessiven Sehnsucht, selbst verstanden zu werden. Begleitet und kontrapunktiert wird diese Eigenschaft von einer grundlegenden “Unruhe im Verstehen“ (Vitali); von einem unermüdlichen Drang zum Widerspruch, zur Flucht vor einer Festlegung, wie sie sich in dem endgültigen Abschluss eines Projekts, einer Beziehung, des eigenen Lebensentwurfs manifestieren würde – ein Charakterzug, den Bachmann offensichtlich mit Fellini teilte, betrachtet man einige Aussagen, die dieser im bereits zitierten Gespräch von 1980 anlässlich der Erstaufführung von La città delle donne [Stadt der Frauen] macht: “[...] it seems to me that most people are not even interested in knowing, in changing and beeing involved in research [...].“

 

Abb. 3. Bachmanns "taxierender Blick" (Dellwo)

 

Bachmann selbst legt dieses Bild seiner Person ebenfalls vielerorts in seinem Werk nahe. “There is a lot of other things in live, worth living for, isn’t there?”[13] spricht er in seinem Dokumentarfilm Underground New York (1968) – in einen Bademantel gehüllt und im Anblick des mütterlich, aber wenig appetitlich bereiteten Mittagssteaks – frontal in die Kamera. Der Zuschauer ist sich nicht sicher, ob die Frage eine Hoffnung Bachmanns artikuliert oder seine Angst vor dem Eingeständnis, dass das Leben doch nicht mehr bereithalten oder er selbst nicht in der Lage sein könnte, diese “other things” zu finden. Offensichtlich will Bachmanns Dokumentarfilm kein nüchternes Porträt der New Yorker Filmszene in den 60ern sein. Der Film über die Filmwelt präsentiert sich als eine Reflexion über Sinn, Wirklichkeiten und Möglichkeiten des zeitgenössischen Lebens, die sich Bachmann wie jedem seiner Zuschauer zur Betrachtung und eigenen Befragung vorhält.

Wie auch der kurze Filmausschnitt nahelegt, sind Lebens- und Filmkunst, persönliche und künstlerische (Film-)Perspektive folglich für Bachmann untrennbar verbunden. Dass er die Wahrheit, die Aussage eines Filmkunstwerks über die menschliche und gesellschaftliche Wirklichkeit bei den Künstlern selbst zu finden versucht, und zwar auch zur Hoch-Zeit der strukturalistischen Episteme, als sämtliche Formen biografisch-historischen Zugangs zu Kunstwerken im Verruf standen, scheint insofern konsequent: So unterstellt Bachmann den Künstlern eine inhärente Weisheit und eine bewusste oder unbewusste Einsicht in das menschliche Sein, die er ihnen in seinen Gesprächen zu entlocken sowie in seinen Fotos und Filmen zum Vorschein zu bringen hofft. Besonders angetan hat es ihm auch in dieser Hinsicht (und vielleicht zu seinem eigenen Unglück) Federico Fellini, dessen Person er sogar eine exemplarisch-symbolhafte Bedeutung zuschreibt, wenn er ihn wahrnimmt als mikrokosmische Verkörperung der zeitgenössischen Gesellschaft,

di una cultura ai margini dell'autodistruzione, di una nazione che ci rappresenta tutti e che non ha ancora trovato un modo umano per far fronte al progresso e di un essere umano, un essere umano comune, che non è in grado di risolvere i conflitti della sua coscienza.[14]

In Fellinis Filmen hofft Bachmann dementsprechend, über diese zeitgenössische conditio humana und damit zugleich über seinen eigenen “Sitz im Leben“ Aufschluss zu finden, und wähnt in ihnen quasi einen Schatz an Welt- und Menschenwissen, den es zu heben gilt. Dieser exegetischen Aufgabe will er sich annehmen, wenn er als Filmkritiker agiert und auf diese Weise auch dem Kinopublikum in der aktiven und kritischen Rezeption zu Hilfe kommt. Ohne Interpretationen dogmatisch vorzugeben, schlägt Bachmann so eine Brücke zwischen dem Kunstwerk und seinen Rezipienten. Die in seinen Gesprächen immer wiederkehrenden Fragen zur Beziehung zwischen Regisseur und Publikum, zu dessen Haltung gegenüber den Reaktionen der Zustimmung und Ablehnung seitens der Zuschauer, legen dabei nahe, dass ihn jedoch eben weniger das Kunstwerk, der Film selbst als vielmehr die Person und die Aussagen des Regisseurs über sein Werk und dessen Wirkung interessieren. So konfrontiert Bachmann beispielsweise bei seiner überhaupt ersten Begegnung mit Pasolini diesen frontal und in beinahe vorwurfsvollem Ton mit der Frage nach dessen Bewusstsein über die ’polemische’ Wirkung seiner Filme auf die Zuschauer.[15]

Es ist nun streitbar, wie ergiebig eine sozusagen ’imitative Kritik’ im Hinblick auf Bachmanns Arbeit, ja wie sinnvoll es überhaupt ist, in der kritischen Auseinandersetzung mit einem Autor, dessen theoretischen und methodischen Neigungen zu folgen. Die Faszination und der kognitive Gewinn einer Studie wie der berühmten Analyse des Baudelaire-Gedichts Les chats von Roman Jakobson und Claude Lévi-Strauss, um nur ein Beispiel zu nennen, liegt schließlich an ihrem theoretisch völlig ’lebensfremden’ Ansatz, der sich dem Autor, seinen Überzeugungen, seinem Leben, seiner Zeit in nichts anpasst. Die Beiträger der vorliegenden Ausgabe hingegen haben den ’imitativen’ Weg eingeschlagen: Sie tragen dem biografistischen Charakteristikum der Arbeit Bachmanns Rechnung, insofern sie diese ebenfalls nicht von seiner Person trennen, Themen und Modus seiner Fragestellungen nie losgelöst von den Themen und Modi seiner Lebensführung und -einstellung behandeln und somit seiner produktionsästhetischen Prämisse entsprechen. Diese scheinbar ontologisch begründete Festlegung, welche die Autoren dieser Nummer unabhängig voneinander vorgenommen haben, lässt nun jedoch – neben der Anregung zur weiteren inhaltlichen Forschung an Bachmanns Werk – auch die Frage im Raum, welche Perspektiven oder methodischen Zugriffe möglich sind, die den Urheber zwar nicht ausblenden, zugleich aber stärker auch der autonom-künstlerischen Dimension seiner Arbeit nachzugehen ermöglichen.

Andersherum ließe sich die Frage nach dem künstlerischen Wert auch hinsichtlich Bachmanns Autonomie von den Künstlerfiguren stellen, die er interviewt. Zugespitzt formuliert: Will oder schafft Gideon Bachmann es, mit seiner Arbeit zu Filmkunst und -persönlichkeiten ein Werk hervorzubringen, mit dem er auch unabhängig von der Autorität der durch ihn porträtierten Personen einen eigenen künstlerischen Status beanspruchen kann? Ist also Bachmanns Werk des Fragens, Dokumentierens, Filmens ein Kunst-Werk? Zur Beantwortung dieser Fragen haben die Beiträger hier erste Linienführungen unternommen in der überzeugten Annahme, dass in deren Weiterführung der Öffentlichkeit mit Bachmanns Werk ein wertvolles Wissen und zugleich in seiner Eigenheit faszinierendes Universum der Kinogeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eröffnet werden kann.

Insofern wünschen wir als Herausgeber eine anregende Lektüre dieser fünften Ausgabe der lettere aperte, die – in Bachmanns (und Fellinis) Sinne – nichts abschließen will: Vielmehr möchten wir die Beweglichkeit und Veränderbarkeit des Online-Formats der Zeitschrift nutzen und die Ausgabe explizit offenhalten für mögliche weitere Artikel, die den aus bisher dreizehn Beiträgen bestehenden Grundstock erweitern, verändern, bereichern könnten (bei Interesse laden wir den Leser herzlich dazu ein, mit uns in Kontakt zu treten). So versteht sich diese Nummer als Annäherung an Gideon Bachmann und sein Werk, die zu einer Auseinandersetzung und Suche, nicht zuletzt zu einer kritischen Befragung weiter anregen möchte.

 

Unser Dank gebührt an dieser Stelle den beiden Archiven, dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe und der Mediathek Cinemazero in Pordenone, vor allem in Person von Riccardo Costantini, ohne deren engagierte Mitarbeit und bereitwillige Gewährung des Zugangs zu Bachmanns Materialien die Ausgabe nicht entstanden wäre. Wo nicht anders vermerkt, liegen die Rechte der verwendeten Foto-, Audio- und Filmdokumente beim ZKM und bei Cinemazero. Für die großzügige finanzielle Unterstützung danken wir sehr herzlich Michael Schwarze und der Universität Konstanz. Für die hilfreiche Unterstützung der Beiratslektüre sind wir Anne Kraume und Stephanie Neu-Wendel für ihre selbstverständliche Bereitschaft und ihr kritisch zugeneigtes Interesse besonders dankbar. Desweiteren haben uns geholfen: Avi Liberman, indem er eine Sequenz in Hebräisch in Sassis Filmportät für uns übersetzt hat; Gabriella Angheleddu, unter anderem indem sie uns den Kontakt mit Riccardo Costantini und Roberto Chiesi vermittelt hat; Karl-Heinz Dellwo, indem er uns in der medialen Aufbereitung der Videos immer zur Verfügung stand; Daniele Schneider mit der wunderbaren Hilfe zur Gestaltung des Titelblatts; Albert Göschl mit seiner stets verlässlichen Unterstützung in technischen Fragen; Stephan Renker, indem er die Entstehung der Nummer mit seinen hilfreichen Anmerkungen und anregend kritischen Fragen begleitet hat. Ein besonderer Dank geht an Friederike Lierheimer, die uns mit ihrem zuverlässigen und äußerst sorgfältigen Lektorat der Beiträge einen unabdingbaren Dienst erwiesen hat.

 

 

In Erinnerung an Gideon Bachmann zu seinem 92. Geburtstag

Konstanz | Venedig, den 18. Februar 2019

 

 

Literaturverzeichnis

Bachmann, Gideon (1977), Bewegte Bilder. Macht und Handwerk des Films. Weinheim/Basel: Beltz.

-      (1998), “Gideon Bachmann: writer, critic“. In Film Quarterly vol. 52, no. 1, 54s.

-      (2003), “Il ritorno sfuggente. Illusione, Italia e insicurezza in Federico Fellini”. In Crozzoli, Andrea/Sesti, Mario (a cura di), Il viaggio di Fellini. Pordenone: Cinemazero.

-      (1970), Ciao, Federico!, Spielfilm.

-      (1968), Underground New York, Spielfilm.

Bachmann, Gideon/Fellini, Federico (1980/81), “The Cinema seen as a woman. In Interview on the Day City of Woman premiered in Rome. In Film Quarterly vol. 34, no. 2 (Winter, 1980-1981), 2-9.

Jakobson, Roman/Lévi-Strauss, Claude (1962), “Les Chats de Charles Baudelaire“. In L’homme vol. 2, no. 1, 5-21.

Pasolini, Pier Paolo (2015), Polemica, Politica, Potere. Conversazioni con Gideon Bachmann. A cura di R. Costantini, Pordenone: Chiarelettere.

 

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