Bachmann talkings
In den Jahren 2007-2008 begleitete Paolo Sassi seinen langjährigen Freund Gideon Bachmann an einige Orte, die für dessen Leben, insbesondere für seine Kindheit von Bedeutung waren – ’Wurzelreisen’ wie man sie in Israel nennt: Karlsruhe, Heilbronn, Haifa, Herzlyya, Tel Aviv...
Die gemeinsamen Gespräche und Besichtigungen hat Sassi auf Video festgehalten, auch im Hinblick auf eine geplante und mit Bachmann vereinbarte Biografie. Die Aufnahmen sind aber auch eine Art Imitation jener (Anti-)Methode, die Bachmann selbst im Umgang, insbesondere mit Pasolini und Fellini, verfolgt hatte – wohlgemerkt ohne künstlerische Ansprüche explizit geltend zu machen. Wie Bachmann, nur diskreter, steht die Kamera hier im Dienst jener unwiderstehlichen Faszination für “das Leben des Anderen“, in welches einzudringen wohl aus weit mehr als nur aus dokumentarischem Interesse geschieht.
Sassis insgesamt sehr private Aufnahmen offenbaren unterschiedliche Facetten der Figur Gideon Bachmanns: da ist einmal der verschlossen nachdenkliche, sarkastische, ja fast misanthropische Senex: verbittert im Bewusstsein darüber, dass sein Leben inzwischen nur mehr Vergangenheit ist, wortkarg, wenn es darum geht zum x-ten Mal über seinen Umgang mit den “Großen“ zu sprechen und in ungeduldiger Erwartung auf Befreiung aus der Anonymität (“ho bisogno di qualcuno che mi vende!“ wie er an einer bestimmten Stelle vor der laufenden Kamera sagt, Min. 4:44). Andere Sequenzen wiederum vermitteln einen gegenteiligen Eindruck, jenen eines ungebrochen gewitzten Schelm, mit einem Sinn für den Reiz unerwarteter Gesten (in 13.21 fixiert er die Kamera, nähert sich schmunzelnd und schaltet ihr Mikrofon aus...).
Auch den mitteilungsfreudigen Bachmann erfährt man, wie er seinen Freund Paolo Sassi in die Umgebungen seiner Kindheit, in Israel und in Heilbronn einweiht. Anekdoten aus dem familiären Umfeld (die 32-stündige Dauer seiner Geburt, die er mit einer sonderbaren Genugtuung kommentiert, Min. 1:48) stehen unvermittelt neben Bemerkungen zu übergeordneten historischen Zusammenhängen. Und dann und wann überlagern sich die beiden Dimensionen, wie in der Erinnerung an eine nationalsozialistische Parade in Heilbronn, als Gideon den Führer mit entsprechender Geste grüßen wollte, was ihm seine Mutter aus gutem Grund untersagte (Min. 12:35): Die schwindelerregenden historischen Höhen, aus welchen Bachmann auf seine eigene Geschichte blickt...
Die Auswahl dieser persönlichen Videoaufnahmen, die uns Paolo Sassi vor einiger Zeit zugespielt hat, wurden von uns redaktionell gekürzt und bearbeitet. Dabei sind viele nicht minder bedeutsame Sequenzen geopfert worden. Wir möchten Paolo dafür danken, dass er uns dieses sehr persönliche Filmmaterial, das mitunter auch eine besondere Freundschaft mit Gideon Bachmann dokumentiert, anvertraut hat.
(Fabien Vitali)
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